Veranstaltung: | Landesdelegiertenkonferenz & Landeswahlversammlung BTW21 - 22.08.2020 |
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Tagesordnungspunkt: | 10. Verschiedene Anträge |
Status: | Beschluss |
Abstimmungsergebnis: | Ja: 65, Nein: 0, Enthaltungen: 8 |
Beschluss durch: | LDK B90/Grüne MV |
Beschlossen am: | 22.08.2020 |
Eingereicht: | 12.10.2020, 15:29 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Die Folgen von Covid-19 solidarisch bewältigen und daraus lernen
Beschlusstext
Präambel:
Die Infektionskrankheit Covid-19 beeinflusst unser aller Leben in einer bisher
ungekannten Weise. Einschränkungen, um die Ausbreitung der Krankheit zu
verhindern, sind unvermeidlich, doch sie führen zu wirtschaftlichen Schäden.
Auch zeigt die Krankheit wie durch ein Brennglas auf, wo sich die sozialen
Verwerfungen unserer Gesellschaft befinden, wo es Menschen sozial, ökonomisch
und mental schlecht geht und wo verantwortungsvolle Politik handeln muss. Der
Bundestag und der Landtag M-V haben reagiert und zahlreiche Hilfsangebote und
Initiativen zur Milderung der Folgen der Covid-19-Pandemie gestartet. Dies
begrüßen wir. Trotzdem sehen wir Verbesserungsbedarf. Die Bundesregierung hat es
wie in vielen anderen Bereichen versäumt, Vorsorge zu betreiben und eine
Strategie für den Krisenfall zu entwickeln. Eine Studie des RKI von 2013 wurde
z.B. ignoriert. Covid-19 stellt uns vor Herausforderungen, die wir nur als
solidarisch agierende Gesellschaft unter weiterer Bearbeitung der Zukunftsthemen
bewältigen können. In den letzten Wochen haben jedoch auch zahlreiche Menschen
öffentlich ihre Meinung bekundet, die in den aktuellen Maßnahmen zum Schutz der
Bevölkerung eine nicht hinnehmbare Bevormundung durch den Staat sehen. Diese
Meinungsäußerungen reichen bis zur offenen Ablehnung unserer demokratischen
Staatsform unter Verwendung verfassungsfeindlicher, rechtsextremer Symbolik.
Die LDK von Bündnis 90/Die Grünen Mecklenburg-Vorpommern am 22.08.2020 in
Güstrow beschließt vor diesem Hintergrund folgende Erklärung:
1. Wir BÜNDNISGRÜNE stehen für ein solidarisches Miteinander in den Zeiten der
Krise. Die bisherigen Erfahrungen mit der Krankheit zeigen, dass keine
Personengruppe vor ernsten Verläufen von Covid-19 gefeit ist. Solidarisch zu
handeln bedeutet für uns auf wissenschaftlicher Basis begründete
Hygienemaßnahmen auch anzuwenden.
2. Solidarisch zu handeln heißt für uns ebenso, mit praktischen Hilfsmaßnahmen
und politischen Aktivitäten dafür zu sorgen, dass niemand in schwieriger
sozialer und ökonomischer Lage vergessen wird. Wir kümmern uns um unsere
Nachbar*innen und treten für finanzielle Hilfsprogramme ein, die es
wirtschaftlich gebeutelten Branchen, die es Künstler*innen, Veranstalter*innen,
Einzelhändler*innen, Gastronom*innen, Selbständigen u.v.m. erlauben, die
Verdienstausfälle zu kompensieren. Wir haben insbesondere die Bedürfnisse der
Alleinerziehenden, Familien und all jener Menschen im Blick, die andere Menschen
zu betreuen, zu pflegen und zu versorgen haben. Diese Menschen brauchen ganz
dezidiert Entlastung, Unterstützung und Perspektiven.
3.Die Pandemie legt schonungslos offen, wie stark die Schere zwischen arm und
reich in unserem Land auseinanderklafft. Besonders deutlich wird dies im Bereich
der Bildung. Während Kinder und Jugendliche in ökonomisch besser gestellten
Situationen in Zeiten des Lockdown und des Homeschooling die heute geforderte
digitale Infrastruktur im heimischen Haushalt nutzen können, haben Kinder und
Jugendliche aus ökonomisch prekären Verhältnissen oft nicht einmal einen ruhigen
Arbeitsplatz. Expertinnen und Experten stellen fest: "Die Corona-Krise
verschärft die soziale Bildungskrise massiv. Die armen Kinder drohen den
Anschluss zu verlieren."1 Deshalb treten wir für eine echte Kindergrundsicherung
ein.
4.Covid-19 macht ebenso deutlich, wie dringend notwendig ein gut mit Personal
sowie mit guten baulichen und hygienischen Bedingungen ausgestattetes
Bildungssystem ist. Kitas und Schulen brauchen eine bessere Ausstattung mit
pädagogischem Personal. Die bisherige Mangelverwaltung und der völlig
unzureichende Betreuungsschlüssel in den Kitas des Landes zeigen uns besonders
jetzt in der Krise die Grenzen der Leistungsfähigkeit. Auch sind ungenügende
sanitäre Anlagen keine gute Basis, die Ausbreitung von Covid-19 einzuschränken.
Lehrerinnen und Lehrer müssen verschiedene Formen der Kompetenzvermittlung
anwenden können. Dazu müssen sie inhaltlich und technisch besser ausgerüstet
werden. Es braucht dringender denn je eine funktionierende digitale
Infrastruktur an den Schulen, die eine gute Vermittlung von Lehrstoffen nicht
nur in Zeiten eines eventuell notwendigen weiteren Lockdowns ermöglicht. Mit
unseren politischen Initiativen treten wir vor Ort für eine schnelle und
effiziente Nutzung des Digitalpaktes Schule und des Sofortprogramms Digitales
Lernen ein.
5.Die Infektionskrankheit Covid-19 und ihre Folgen dürfen nicht als Begründung
dafür herhalten, die Erreichung wichtiger gesellschaftlicher Ziele zu den Akten
zu legen. Jenen Bestrebungen, die mit dem Argument der wirtschaftlichen Folgen
von Covid-19 den dringend notwendigen Klimaschutz von der politischen
Tagesordnung nehmen wollen, erteilen wir eine klare Absage. Die erhöhten
finanziellen Aufwendungen bei der Bewältigung der Pandemie dürfen nicht zu
Lasten von Energie-, Verkehrs- und Agrarwende gehen. Finanzielle Hilfsmaßnahmen
müssen viel stärker an nachhaltigen Kriterien ausgerichtet werden. Daher lehnen
wir finanzielle Hilfen für klimaschädliche Branchen ab. Mehr statt weniger
Klimaschutz ist unsere Handlungsmaxime.
6.Covid-19 zeigt, wie anfällig komplexe gesellschaftliche und natürliche Systeme
für Krisen sind. Angesichts derartiger Pandemien und der schon jetzt spürbaren
Auswirkungen des Klimawandels ist es für uns wichtig, Strukturen und Prozesse zu
entwickeln, die gegenüber Krisen und Katastrophen stabil und widerstandsfähig
sind (Resilienz). Nachhaltigkeit und das Vorsorgeprinzip als politische
Grundhaltungen sind hierfür Voraussetzung. Sie werden von uns konsequent
vertreten.
7.Covid-19 zeigt uns nachdrücklich, wie wichtig die Stärkung eines
umweltfreundlichen Verkehrsverbundes in unserem Bundesland ist. Die
Infrastruktur für Radfahrer*innen und Fußgänger*innen und die Schnittstellen des
Radverkehrs mit dem ÖPNV sind stark verbesserungswürdig. Wir treten in den
Kommunen und Landkreisen vehement für ein verbessertes Radwegenetz, mehr
Serviceeinrichtungen (z.B. Mobilitätsstationen) für Radfahrer*innen ein. Der
ÖPNV muss ausgebaut werden. Gelder müssen konsequent zugunsten des ÖPNV sowie
des Fuß- und Radverkehrs umverteilt werden.
Die schon vor Covid-19 übervollen Busse der Schüler*innenbeförderung dürfen wir
nicht hinnehmen. Ein Schutz vor Verbreitung der Erkrankung ist unter diesen
Umständen nicht gegeben. Wir fordern von den Kommunen und der Landesregierung
den Einsatz von mehr Fahrzeugen.
8.Meinungsfreiheit ist für uns ein hohes Gut. Auch unter den Einschränkungen von
Covid-19 muss gewährleistet sein, dass Menschen unter Einhaltung der notwendigen
hygienischen Schutzmaßnahmen ihre Meinungen öffentlich äußern können. Wenn
jedoch verschwörungsideologische und rechtsextreme Akteure, Kampagnen und
Gruppierungen die Pandemie nutzen, die demokratische Verfasstheit unseres
Staates zu bekämpfen und in unsolidarischer Weise Schutzmaßnahmen gegen die
Krankheit zu missachten, treten wir dem entgegen.
9.Covid-19 macht nicht an Grenzen halt. Menschen in Regionen, die durch
Klimawandel, Krieg und andere Rahmenbedingungen ohnehin benachteiligt sind,
verdienen mehr denn je unsere umfassende Unterstützung. Dazu gehören direkte
finanzielle und soziale Hilfen sowie höchste Anstrengungen zur Befriedung von
Regionen. Menschen, die keine unmittelbare Perspektive in ihrer Heimat haben,
müssen wir Möglichkeiten geben, sich auch bei uns ein neues Leben aufzubauen.
Internationale Solidarität muss Vorrang vor nationalem Handeln haben.Deshalb
setzen wir uns für ein Landesaufnahmeprogramm für Geflüchtete ein.
10.Die Situation in den Flüchtlingsunterkünften in unserem Land verschärft sich
unter dem Eindruck von Covid-19 zusehends. Die Menschen dort können sich nicht
vor der Krankheit schützen. Asylsuchende werden in Massenunterkünften
untergebracht. 500 Menschen und mehr gelten als gemeinsamer Haushalt. Obwohl sie
zum Teil abgesenkte Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)
beziehen, sollen sie davon noch Mehrausgaben für Desinfektion und Hygiene
bestreiten. Das ist eine Ungleichbehandlung, die wir nicht akzeptieren. Wir
fordern zur Vermeidung von Massenunterkünften eine dezentrale Unterbringung von
Geflüchteten in Wohnungen und wohnungsähnlichen Formen, einen Zugang zur
Gesundheitsversorgung für alle Menschen unabhängig vom Aufenthaltsstatus und
eine Garantie der Rechte und des Schutzes von geflüchteten Kindern in
Aufnahmeeinrichtungen.
11.Staatliches und solidarisches Handeln erfordert eine ausreichende soziale
Infrastruktur. Diese Infrastruktur sollte weitgehend in kommunaler Hand sein.
Die Personal- und Sachausstattung von Krankenhäusern, Gesundheitsämtern sowie
Hilfsangeboten muss verbessert werden und in ganz M-V verfügbar sein. Neben der
Bekämpfung von Krankheitsfolgen muss zudem ein größerer Fokus auf die Prävention
gelegt werden. In diesem Sinne setzen wir uns für eine bessere Bezahlung von
Beschäftigten im Gesundheitswesen und im öffentlichen Gesundheitsdienst ein.
12.Wir BÜNDNISGRÜNEN setzen uns für die Nachbesserung der Covid-19-Soforthilfen
für Künstler*innen in M-V und die Schaffung von zusätzlichen Arbeitsstipendien
ein, die in der Zeit der Covid-19-Beschränkungen helfen sollen, die daraus
resultierenden finanziellen Verluste von Einkommen aus der selbstständigen
Arbeit zu kompensieren und die künstlerische Arbeit fortzusetzen.
13.Covid-19 zeigt, dass es möglich ist, in unserer Gesellschaft flexibel auf
unterschiedliche Bedürfnisse der Lebensgestaltung zu reagieren. Diese
Erkenntnisse wollen wir nutzen, um weiter daran zu arbeiten, neue Modelle der
Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben, Arbeit und häusliche Pflege, Arbeit
und Betreuung von Kindern zu entwickeln und zu fördern.
1 Heinz Hilgers, Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes;
https://www.sozial.de/neue-zahlen-zur-kinderarmut-corona-krise-verschlimmert-
situation.html